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Spitzbergen Report Nr. 9
1. Mai 2002
Eisenpferde und Eisbären
Es dreht sich alles nur um Scooter und Gewehre. Und wer wohin mit wem auf Tour ist. Und wieviele
Eisbären man schon gesehen hat. Absolut wesentlich ist auch, ob das eigene Schneegefährt
noch so tut wie es soll. Was im allgemeinen nicht der Fall ist.
Aber in Momenten intensiven Glücks kann es passieren.
Kein Ziel scheint zu weit, wenn die Sonne scheint und der Scooter schnurrt.
Realistisch besehen umgeben einen aber eher folgende Reize.
Es ist ohrenbetäubend laut. Mindestens an zwei Stellen des Körpers ist es so kalt,
dass Amputation einen vernünftigen Ausweg zu bieten scheint. Anzuhalten, um die erfrierenden Körperteile zu versorgen
würde erfordern, die Handschuhe auszuziehen. Das bedeutete: ein Körperteil mehr der beissenden Kälte
auszusetzen und mit mindestens zehn Minuten Schmerz bestraft zu werden.
Dazu ist die Skibrille so beschlagen, dass man seine Umgebung als grauen Brei und den vorwegfahrenden
Schlitten als diffus blinkenden Klumpen wahrnimmt.
Nach einigen Kilometern beginnt die schlechte Federung
des Scooters auf die gute Federung des Rückgrates überzugreifen und stechenden Schmerz zu verursachen.
Irgendwann (recht bald) muss man dann dem unstillbaren Durst des Gefährtes Tribut zollen, in den Tank hinein.
Dabei stellt man fest, dass sich der mitgebrachte Kanister bereits vor einigen Kilometern geöffnet hat und seinen
Inhalt zu einem Gutteil in den Rucksack ergossen hat.
Schliesslich wird der Adrenalinspiegel noch durch die ständige Gefahr hochgehalten, dass der Scooter plötzlich, unvorbereitet und endgültig
den Dienst mitten in der Wildnis aufkündigt.
Falls man es doch nach Hause zurück schafft, sinkt man mit leeren Taschen, wehem Rücken, diversen Frostbissen, taub und nach Benzin
stinkend zu Boden.
Und am nächsten Tag ist man wieder unterwegs. Weil ganz so schlecht war es irgendwie doch nicht.
So laut ist der Scooter doch gar nicht. Und das Wetter ist heute auch viel besser. Und immer nur
im Longyear-Tal zu bleiben macht auch keine gute Laune. Ausserdem bin ich ja nicht ewig hier und dort, wo die Anderen
heute hinfahren, war ich auch noch nicht. Ein weisser Fleck auf der persönlichen Landkarte, der weg muss.
Und was ist überhaupt mit den Eisbären? Keinen einzigen habe ich bisher
gesehen!
Es gibt hunderttausend Gründe und noch mehr, es wieder zu tun.
Man kann einfach nicht mehr voneinander lassen, wenn man einmal das Weite des Landes mit seinem
Eisenpferd erritten hat.
Das weite Land in seiner unergründlichen Leere lockt. Gnadenlos und verwunschen. Es muss doch etwas geben dort draussen.
Irgendetwas, das einem irgendetwas gibt, Antworten oder etwas Grösseres noch, bei all dieser Gewaltigkeit.
Weiter und weiter wagt man sich hinaus, in der Hoffnung die unsichtbaren und lautlosen Arktis-Sirenen vielleicht doch
wenigstens einmal kurz zu erblicken.
Ist es auf dem Eis im Fjord zu erblicken? Irgendwo dort in der Ferne? Oder ist es gar nur die statuenhafte Pose
des Spähers und Entdeckers, der nach Erkenntnis ringt, die man sucht?
Hier scheint es schon konkreter zu werden. Mit Teleobjektiv und Fernrohr
soll die Unbegreiflichkeit gefasst werden.
Und als sei es ein Rockzipfel des Gesuchten, erblickt man plötzlich den guten alten Meister
Petz am Horizont. Hier ist es eine Bärin mit Jungem, die Van-Mijen-Fjorden nach Robbenfleisch
durchstöbern. Es ist durchaus nicht unangenehm, in so einem Moment Gewehr und Scooter um sich
zu haben.
Doch letztlich ist man beschränkter in seiner Suche. Ein kleiner fröhlicher Schneeman (hier Bollfried) hilft
auch schon, die Welt mit Sinnhaftigkeit zu beladen. Doch weiss man, auf was man sich da einlässt?
Über Nacht war der liebe Kleine dem Bösen verfallen und hatte sich zum Angriff auf Pluto formiert (Pluto ist ein Hütte).
Sogar ein Gigant war gekommen uns zu bedrängen.
Die Arktis ist zwar ein kalter Ort, aber kein für die Gerechtigkeit blinder. Am nächsten Tag hatten
die Hüter der Tugend in der Arktis zugeschlagen. Nicht ohne es versäumt zu haben, grunzend sämtliches
Inventar von uns zu untersuchen, zermalmten sie Bollfried. Sein Bonbonmund und sein Schokoladenaugen
konnten die Eisbären nicht davon abhalten, Bollfried auch sein verlorenes Herz aus der Brust zu reissen.
Wenigstens uns verschonten sie, nachdem wir unsere gute Seele mit einem Signalschuss in die Luft deutlich
unterstrichen hatten.
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Vielleicht ist, was wir suchen aber auch irgendwo im Fjordeis verborgen. Mit Sägen und Bohrern versucht man,
der Natur ihre Geheimnisse zu entlocken. Und wenn gerade das Eis von kräftigem Tidenhub
gelockert und vom Wind in Wallung versetzt wurde, beginnt sie sogar zu erzählen.
Aber in ihren unbegreiflichen Klängen vom fernen urzeitlichen Geächze bis zum fernseherartigen Gefiepse
reichend scheint sie dann eher Erkenntnis zu entziehen als zu vermitteln.
Da ist die Untersuchung an Land schon geheurer. Auf einem Gletscher regt sich nichts.
Zumindest nicht in menschlichen Zeitskalen. Da kann man ganz unschuldig Löcher in den Schnee graben
und sich des Lebens freuen.
Die Russen haben eine andere Lösung gefunden. In Barentsburg brachten sie die Welt,
die sie kannten einfach als Bild mit, um die Umgebung begreiflicher zu machen. Dies ist wirklich
der nördlichste Wald der Erde.
Das Farbenspiel des beständigen Sonnenunterganges Ende März lädt ein, der Sonne zu folgen.
Aber inzwischen führt sie einen dabei an der Nase herum. Folgt man ihr nach dem 17. April, wird
man bei einer normalen Gehgeschwindigkeit einen Kreis von etwa 15 km Radius beschreiben.
Aber die zunehmende Verwilderung verhindert schon, dass man auf ganz dumme Gedanken kommt.
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überarbeitet am 8. Septmber 2002
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