Zurück zur Übersicht << Vorhergehender Report Nachfolgender Report >> Email an Niels

--> to the English version

Spitzbergen Report Nr. 10

25. Mai 2002


Schokoladenjahreszeit



Auf Svalbard gibt es konkrete Gründe, den Schnee und die Kälte zu lieben. Je mehr Schnee liegt und je mehr die Kälte die Fjorde erstarren lässt, desto freier kann man sich in der Wildnis bewegen.
Ab Mitte April ist das widrigste Winterwetter vorbei und zur Mitternachtssonne wird es allmählich auch milder. Es beginnt die Zeit, in der sich Svalbard von seiner Schokoladenseite zeigt und man die Früchte des Frostes ernten kann.

Mitternachtssonne
Mitternacht über Kongsfjorden. Trotz der mørketidsartigen Wolkendecke, lässt sich die Sonne nicht länger vertreiben. 24 Stunden pro Tag erleuchtet sie jetzt die erstaunlichen Hinterlassenschaften der langen Winternacht. Zu den verblüffendsten Erscheinungen gehört dabei meiner Ansicht nach das Meereis.

Koldewey-Station
Die deutsche Forschungsstation in Ny Ålesund hat wieder einen Winter überstanden, wobei sich die Wetterballongarage zur Linken doch noch lieber in der Dunkelheit zurückhält.

Nördlichster Zug der Welt
Die liebe Lokomotive gibt es auch noch. Sie ist fast ein bischen überfordert mit den nicht unbeträchtlichen Schneemengen des Ny �esunder Winters (siehe zum Sommervergleich Report Nr. 2).

Halo
Eiskristalle in der Atmosphäre verleihen der Sonne einen Hof, ein sogenanntes Halo. Hier ist ein recht schönes Exemplar zu sehen, das sogar noch ein kleines Krönchen auf hat.

Prins Karls Forlandet
Die stählerne Klarheit der arktischen See im Spätwinter liefert ein Postkartenmotiv nach dem anderen. Hier zu sehen ist Prins Karls Forlandet, eine langgestreckte Insel im Westen von Spitzbergen. Angeblich wohnen viele Walrosse dort, sehr zufriedene Tiere, denn sie sind selbst Meister Petz zu stattlich.

Storkobbe
Die "Storkobbe" muss als Bärenmahlzeit nach dieser Lehre etwas unzufriedener sein, auch wenn sie hier einen eher gesetzten Eindruck macht. Aber der Eisbär zieht es im Moment offenbar vor, woanders zu jagen.

Galleonsschatten
Wenn ruhiges Daliegen ein Zeichen von Zufriedenheit ist, müssen wir wohl extrem unzufrieden sein. Das Forschungsschiff Lance ist auf dem Weg in die Framstrasse und die Grönlandsee. Jede Eisscholle, die uns da in den Weg kommt, wird durchgebrettelt, aber haargenau. Mit ohrenbetäubendem Lärm und Gerumpele fräst sich unser Eisbrecher seinen Weg. Wenn das Eis weniger fest und mehr breiartig ist, muss man dabei sehr, sehr geduldig sein.

Am Ziel
Blick vom Krähennest.
Irgendwo auf dem Weg nach Westen wird das Eis so dicht, dass wir kapitulieren müssen. Aber eigentlich sind wir am Ziel. Eine schöne kapitale Eisscholle ist auserkoren, unserer Neugier eine Spielwiese zu sein.
Freundlicherweise ist diese Arbeit wissenschaftlich sehr sinnvoll, weil Messungen über das Zusammenspiel von Atmosphäre, Eis und Meer nur selten durchgeführt werden.
Im Eis ist man sicher vor der Seekrankheit. Das Meer ist vollkommen ruhig. Wenn man den Horizont aber etwas eingehender studiert, kann man die langwellige Dünung erkennen, die die Schollen etwa alle zehn Sekunden einen guten halben Meter anhebt und wieder senkt. Seltsamerweise sieht man diese Wellen nur. Man spürt sie überhaupt nicht.

Mittag
Die Reise nach Westen brachte uns ausserdem aus dem warmen Nordausläufer des Golfstromes heraus, der Svalbard etwa 15 Grad mehr beschert als seinen Breitengradsnachbarn. So ist es dann trotz des Sonnenscheines und der Nähe zum Meer ziemlich kalt.

Eisanker
Hier im malerischen Ansatz zu sehen: Eisanhäufung am Schiff, der grosse Schrecken des Seefahrers in kalten Klimaten.
Sobald ein etwas stärkerer Wind die See aufpeitscht und Wasser an Deck spritzt, entstehen augenblicklich dicke Eisplatten. Sie beschweren das Schiff und bedrohen seine Stabilität.
Aber vielleicht ist der Anker auch nur dabei, sich langsam in einen Wikinger zu verwandeln.

Grimnirs Rückenflosse
Auf dem Rückweg nach Svalbard passieren unwirkliche Wesen das Schiff. In immer sinnlos-aberwitzigeren Formen kriecht das Eis an uns vorüber, knirscht urtümlich und plantscht majestätisch im Wasser. Die ganze Zeit ahnte man es. Irgendwie kennt man das doch schon, es wirkte so vertraut und natürlich. Diese ganzen burg- und kathedralenartigen Fragmente, die müssen doch irgendwie geschaffen worden sein.
Und dann tauchte er schon auf. Nur einen kleinen Augenblick und nur mit seiner Rückenflosse, aber er war es: Grimnir, der Eisdrache.
Er hat also Frieden geschlossen mit dem flüssigen Aggregatszustand, auf seine Weise. Er ist nicht verendet in der Hitze und er hat sich auch nicht in der Erde vergraben. Er wählte das salzige und daher Minusgrade erhaltende Meer als neue Heimat. Und dort vergnügt er sich jetzt mit seinen Gespielinnen, den Kathedralen und Burgen aus Eis und vielleicht sogar einigen anderen Eisdrachen.

Huset
Wir wählten derweil die Rückkehr in unser gutes altes Longyear-Tal. Ein bisher ungezeigter und doch absolut wesentlicher Bestandteil dessen ist "Huset", das Haus. Kneipe, einziges Kino, einzige Disko, Restaurant und Kulturraum in einem. Am Wochenende ist bis zwölf der Eintritt frei, danach sind 50 NOK fällig. An guten Samstagen setzt also kurz vor Mitternacht bei den Studenten hektische Renn- und Trink-Aktivität ein. Die Musik hat auf allen Zeit-Skalen etwas stark fraktales. Sie ist sich selbst ziemlich ähnlich, sowohl innerhalb eines Tages als auch innerhalb der Wochenenden, meistens auch innerhalb eines Liedes. Manche munkeln sogar, sie sei sogar selbstidentisch.

Negribreen entgegen
Auch unabhängig von der Bildungsanstalt fuhren wir zum Frostfruchternten. Hier kann man Malte auf Storfjorden (dt. Grossförde) an der Ostküste Spitzbergens sehen. Zur Linken sieht man schon unser Ziel: Negribreen mit seiner gewaltigen Front in den Fjord hinein.
Dieser britisch Doppelnullagent Bauer (bonde heisst Bauer auf norwegisch) wird in seinem nächsten Opus so aussehen, als hüpfte er heroisch mit seinem Schneemobil diese Eiswand hinunter. Jedenfalls haben hier vor einiger Zeit irgendwelche Leute in einem Hubschrauber fliegend herumgefilmt und gesagt, sie seien Johannes-Bauer-Amateure oder Animateure oder sowas.

Negribreen-Front
An der Gletscherfront angekommen, wähnte ich mich plötzlich in einem Doomlevel. Die Umgebung war so extrem geometrisch und vereinfacht geworden, dass es schon fast ein bischen unheimlich wurde. Hinter einem 100 Kilometer zugefrorener Fjord, vor einem eine 30 Meter hohe blaue Wand, darüber undeutlich irgendein Himmel und sonst nichts. Ausser dem Kopf mit drei Fragezeichen:
hält mein Schneemobil den langen Weg zurück durch, frisst mich jetzt gleich ein Eisbär und kann ich jemals diese Eindrücke hier verarbeiten ohne vollkommen gesellschaftsunfähig zu werden?
Auf diesem Bild kann man eine lokale Ausbeulung der Gletscherfront sehen mit Regine und Niels im Vordergrund.

Warn-Moräne
Auf dem Rückweg wollten wir noch bei einem anderen Gletscher vorbeischauen, bei Hayesbreen. Doch diese Zeigefingermoräne hätte es uns schon mitteilen können. Dieser Gletscher ist anders. Der Schnee sofern vorhanden war braun, das Eis verdreckt und der ganze Gletscher ein seit Jahrtausenden leidendes Wesen ohne Aussicht auf Heilung.

Hayesbreen-Front
Etwas verstört nähert wir uns dann doch der Front. Aber die braune Farbe des Eises verscheuchte uns bald wieder. Die Schokoladenjahreszeit reichte uns nicht als Erklärung.

Expeditionsteilnehmer
Letztlich haben wir diesen Trip doch überstanden. Zum Schluss stolz die Teilnehmer dieses deutschen Ausfluges auf dem Dach unserer Übernachtungskiste (Hütte offiziell): Malte J., Martin M., Imke S. und Niels v.F..


Zurück zur Übersicht

Fragen ?
überarbeitet am 8. September 2002